Ein Handwerk hilft den Menschen

Ein Gesundheitsberuf mit historischer Verantwortung
Die Zahl der Menschen mit Fuß- und Gehproblemen ist im 20. und 21. Jahrhundert deutlich gestiegen. Ursachen sind Kriegsfolgen, Arbeits- und Verkehrsunfälle, chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, degenerative Veränderungen des Bewegungsapparats sowie der demografische Wandel. Vor diesem Hintergrund hat sich die Orthopädieschuhtechnik als eigenständiger Gesundheitsberuf etabliert, der sich auf die Wiederherstellung und Sicherung von Steh- und Gehfähigkeit spezialisiert.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem Aufbau organisierter Körperbehindertenfürsorge, setzte eine Professionalisierung ein. 1917 entstand in Leipzig ein Verband orthopädischer Schuhmacher, der den Berufsstand strukturierte und die fachliche Spezialisierung vorantrieb. Spätere gewerbe- und handwerksrechtliche Regelungen legten fest, dass orthopädische Maßschuhe nur in qualifizierten Fachbetrieben gefertigt werden dürfen. Damit wurde der hohe medizinische und technische Anspruch des Berufs dauerhaft verankert.
Orthopädieschuhtechnik im modernen Gesundheitswesen
Orthopädieschuhmacherinnen und Orthopädieschuhmacher arbeiten heute an der Schnittstelle von Medizin, Technik und Rehabilitation. Sie
fertigen orthopädische Maßschuhe, Einlagen, Innenschuhe, Fuß- und Unterschenkelorthesen sowie weitere Hilfsmittel,
führen orthopädische Zurichtungen an Konfektionsschuhen durch,
vermessen Fuß und Bein mit manuellen und digitalen Verfahren,
passen konfektionierte Hilfsmittel individuell an und
beraten Patientinnen und Patienten in enger Abstimmung mit Ärztinnen, Ärzten und Therapeutenteams.
Die Patientenklientel hat sich erweitert: Neben klassisch rehabilitativen Versorgungen gewinnen Prävention, Sport- und Freizeitversorgung, die Versorgung des diabetischen Fußsyndroms sowie geriatrische Fragestellungen an Bedeutung. Damit ist die Orthopädieschuhtechnik ein zentraler Bestandteil einer modernen, interprofessionellen Versorgungskette.
Annastift und Bundesfachschule: Forschungswerkstatt und institutionelles Fundament
Ein zentrales Element der Fachentwicklung war die orthopädieschuhtechnische Forschungswerkstatt am Annastift in Hannover. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden dort Werkstoffe, Fertigungstechniken und Versorgungsprinzipien erprobt, die den Weg für moderne orthopädieschuhtechnische Konzepte ebneten.
1974 wurde in Hannover die Bundesfachschule für Orthopädieschuhtechnik (BfO) eröffnet. Sie übernahm die Rolle eines zentralen europäischen Bildungszentrums für Orthopädieschuhtechnik und entwickelte die Weiterbildung systematisch weiter. Heute bietet die BfO Meistervorbereitungslehrgänge, Fachseminare, Podologieausbildung und moderne Fortbildungsformate an und verknüpft praktische Werkstattarbeit mit aktueller medizinischer und technischer Expertise.
Die BfO hat ihre Schwerpunkte schrittweise um digitale Fertigung, 3D-Modellierung und softwaregestützte Prozesse erweitert. Damit bildet sie das institutionelle Fundament für eine Orthopädieschuhtechnik, die traditionelle Versorgungsprinzipien mit zeitgemäßer Technologie verbindet.
Studiengemeinschaft für Orthopädieschuhtechnik e.V.: Netzwerk für lebenslanges Lernen
Aufbauend auf diesem Fundament verknüpft die Studiengemeinschaft für Orthopädieschuhtechnik e.V. die fachliche Weiterbildung mit einem strukturierten Netzwerk für lebenslanges Lernen. Die Studiengemeinschaft ist eine freiwillige Gemeinschaft von Fachleuten aus Betrieben, Bildungseinrichtungen, Kliniken und Industriepartnern, die sich der kontinuierlichen Aktualisierung und Vertiefung orthopädieschuhtechnischer Kompetenz widmet.
Kernstück dieses Engagements sind die jährlich stattfindenden Jahrestagungen, die seit mehr als sieben Jahrzehnten durchgeführt werden. Aktuell werden unter anderem in Osnabrück Tagungen mit einem kombinierten Programm aus medizinischen, handwerklich-technischen und strategischen Themen angeboten. Ergänzend findet eine große Industrieausstellung statt, die den direkten Austausch mit der Zulieferindustrie ermöglicht.
Die Tagungen der Studiengemeinschaft sind wissenschaftlich orientiert, zugleich praxisnah angelegt. Sie greifen Themen wie Diabetologie, Biomechanik, Kinderorthopädie, digitale Versorgungsprozesse und Qualitätsmanagement auf und ermöglichen den Transfer aktueller Forschungsergebnisse in die Versorgungspraxis. Damit unterstützen sie Orthopädieschuhmacherinnen und Orthopädieschuhmacher dabei, das eigene Fachwissen systematisch zu aktualisieren.
Lebenslanges Lernen als Prinzip der Orthopädieschuhtechnik
Die Anforderungen an die Orthopädieschuhtechnik verändern sich kontinuierlich: neue Materialien, digitale Fertigung, regulatorische Rahmenbedingungen (z. B. Medizinprodukte-Regulierung), vernetzte Versorgungspfade sowie steigende Erwartungen von Patientinnen, Patienten und Kostenträgern. Lebenslanges Lernen ist daher kein Zusatz, sondern struktureller Bestandteil des Berufsbildes.
Die Kombination aus
dualer Erstausbildung,
Meistervorbereitung und spezialisierten Fachlehrgängen (z. B. an der BfO),
kontinuierlichen Fortbildungen und Jahrestagungen der Studiengemeinschaft und
Angeboten von Kompetenzzentren wie dem KomZet O.S.T.
sichert eine durchgängige Qualifizierung – von der ersten Begegnung mit dem Beruf bis zur langjährigen Expertentätigkeit.
Digitalisierung und Zukunftsperspektiven
Digitale Technologien verändern die Orthopädieschuhtechnik in allen Prozessschritten:
3D-Scan und digitale Vermessung von Fuß und Bein,
CAD-gestützte Konstruktion von Leisten, Einlagen und Bauteilen,
additive Fertigung (3D-Druck) von Einlagen und Funktionskomponenten,
digitale Dokumentation und Rückverfolgbarkeit im Sinne der MDR,
vernetzte Datenflüsse zwischen Praxis, Klinik, Labor und Betrieb.
Kompetenzzentren wie das KomZet O.S.T. unterstützen Betriebe und Fachkräfte dabei, diese Technologien in ihre Arbeitsprozesse zu integrieren und mit bewährten Versorgungskonzepten zu verbinden. Damit wird Digitalisierung nicht Selbstzweck, sondern Instrument zur Qualitätsverbesserung, Prozesssicherheit und Wissenssicherung.
Fazit: Ein Berufsbild mit Geschichte und Zukunft
Die Orthopädieschuhtechnik basiert auf einer starken historischen Grundlage, die von frühen Verbandsstrukturen über die Forschungswerkstatt am Annastift bis zur Bundesfachschule in Hannover reicht. Gleichzeitig ist der Beruf heute geprägt von evidenzorientierter Medizin, digitaler Fertigung und interdisziplinärer Zusammenarbeit.
Die Studiengemeinschaft für Orthopädieschuhtechnik e.V. verbindet diese Tradition mit einem klaren Fokus auf lebenslanges Lernen. Sie bietet eine strukturierte Plattform, auf der Orthopädieschuhmacherinnen und Orthopädieschuhmacher ihre fachliche Kompetenz fortlaufend erweitern, aktuelle Entwicklungen einordnen und die Zukunft der Orthopädieschuhtechnik aktiv mitgestalten können.
